Ein Satz, der eigentlich schon reicht, weil damit alles gesagt ist, und er die Situation auch irgendwie in Gänze zusammenfasst. Aber es gibt halt durchaus noch genügend Zeitgenossen, die es ganz offensichtlich immer noch nicht verstanden haben: Vierte Welle hat aktuell wenig mit einem Surfurlaub zu tun.
Es wird gestorben buchstäblich und metaphorisch
Die Wellen Nummer eins bis drei waren scheinbar für einige noch nicht groß genug. Lass mal die vierte so richtig schön zu Tode reiten, indem wir lieber rummosern und abwarten statt zu impfen, zu testen oder uns an (Abstands-)regeln zu halten.
Da wären wir dann auch schon beim Stichwort. Ich möchte mir hier jetzt nicht anmaßen, zu definieren, dass jemand mit, an, wegen oder sonst wie präpositionell den Corona-Tod stirbt, weil das sowieso schon seit mehreren Wellen kontroverse Diskussionen aufwirft. Aber es wird gestorben. Buchstäblich aber auch im übertragenen Sinne.
Nicht nur *hier bitte eine beliebige Präposition wie an oder mit einfügen* Corona, sondern auch durch die Konsequenzen verschiedenster (versäumter) Maßnahmen, die jetzt im Tsunami der vierten Welle gipfeln.
Operationen und Behandlungen verschoben, Arzttermine schwerer zu bekommen, Menschen, die sich auch mit ernsthaften Problemen nicht ins Krankenhaus oder eine Praxis trauen, medizinisches Personal am Rande des Möglichen, Intensivstationen am Anschlag. Besser also nicht erkranken, weder an Corona noch an sonst etwas. Vorsicht heißt deshalb die Devise. Also bleiben wir zu Hause (oder irgendwo, wo wenige Menschen sind) – sollen wir ja eh. Es ist halt momentan einfach vernünftig, Menschenansammlungen aus dem Weg zu gehen, auch wenn statistisch gesehen blöderweise ausgerechnet zu Hause der gefährlichste Ort der Welt ist. Also: Vorsicht mit spitzen Gegenständen sowie heißem Wasser und lieber die sichere Leiter als den wackeligen Schemel nutzen.
Denn man will wohl besonders jetzt wirklich nicht in einem Krankenhaus landen, hört man doch allerorts von der drohenden Triage, dem Mangel an medizinischem Personal und fragt sich, ob die eigene Versorgung da überhaupt sichergestellt werden kann. Doch selbst wenn wir im Ernstfall ein Krankenhausbett ergattern und uns geholfen werden kann, liegen wir dann dort und vermissen eines schmerzlich: Nahestehende Menschen, die für den Genesungsprozess so wichtig wären. Besuche in medizinischen Einrichtungen sind – wenn überhaupt – nur unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen möglich.
Da geht’s dann auch schon weiter. Körperlich vielleicht quietschfidel aber seelisch wird dennoch gestorben – jeden Tag ein kleines bisschen. Isolation und Einsamkeit bei den einen, zusammengepfercht sein in kleinen Wohnungen bei den anderen, eine Jugend, die ihre Jugend verpasst. So pathetisch ich den Weihnachts-Werbespot von Penny auch finde (welche Mutter freut sich denn ernsthaft über ein betrunkenes Kind und ausschweifende Wortgefechte), es ist halt irgendwie auch was Wahres dran.
Ich will den kleinen Scheiß zurück
Auch ich hab keinen Bock mehr. Da klammere ich die Angst, die man vor gesundheitlichen oder wirtschaftlichen Folgen haben kann, mal aus. Es geht einfach auch um die kleinen Sachen, ganz banale Dinge, den kleinen Scheiß eben, der früher – vor einer gefühlten Ewigkeit – so selbstverständlich war: Nur mal wieder im Restaurant sitzen, ohne in anderen Gästen eine potenzielle Corona-Gefahr zu sehen, ein Treffen mit Freunden planen, ohne die Absage wegen zu hoher Inzidenzen schon einzukalkulieren, an anderen vorbeilaufen, ohne die Luft anzuhalten (bringt nichts, weiß ich. Mach ich trotzdem), in den Urlaub fahren, ohne 5 Tests vorzuweisen und 38 Formulare auszufüllen, in denen ich bei meinem Leben schwöre, pumperlgsund zu sein.
Der Sommer wurde verschlafen: All in auf das Prinzip Hoffnung anstatt mit Hochdruck nach Maßnahmen und Lösungen zu suchen. Und jetzt? Rien ne va plus. Kann man jetzt leider auch nicht mehr ändern. Wenn es aber schon die Verantwortlichen in unserem Land nicht auf die Kette bekommen, rechtzeitig angemessene Maßnahmen zu ergreifen, sollte wenigstens jeder und jede einzelne so verantwortungsbewusst handeln, dass wir irgendwann bei Wellen auch wieder ans Surfen denken können. Das klappt ja in manch anderem Land auch irgendwie – zumindest halbwegs, auf jeden Fall aber besser als bei uns.
Freunde, die Lage ist ernst!
Freunde, die Lage ist ernst, die Welle überrollt uns und während der Vierten wird die Fünfte quasi schon angekündigt.
Ich hab ja lange versucht Verständnis für jeden Menschen aufzubringen, der sich nicht impfen lassen wollte. Mittlerweile reicht mein Verständnis maximal noch in Ausnahmefällen. Ich bin geimpft. Inzwischen drei Mal. Und mir ist weder ein dritter Arm gewachsen, noch hab ich bisher einen Chip irgendwo entdeckt. Schon klar, die sind sicherlich sehr gut versteckt.
Was leider tatsächlich ein Problem ist, vor allem für Leute, die dem Impfen sowieso schon eher skeptisch gegenüberstehen, ist halt, dass es gefühlt leichter ist, eine Audienz beim Papst zu bekommen als einen Impftermin. Ich hab selbst bei diversen Ärzten angerufen, um nach deren Absagen das Angebot einer mobilen Impfaktion wahrzunehmen. Da stehst du halt mal 6 Stunden an einem Samstag in der Schlange. Da siehst du dann auch offensichtliche Erst-Impflinge, die nach dem Ende besagter Schlange fragen und mit einem erschrockenen „nee, kein Bock“ kehrt machen. Aber lass mal Biontech noch rationieren. Zu wenig bestellt? Achso, ja da kann man wohl nix machen.
Geimpft und unverwundbar
Und dann gibt’s ja auch noch meine speziellen Freunde: Geimpft und unverwundbar. Mit stolzgeschwellter Brust und Maske am Arm statt im Gesicht stolzieren sie durch die Gegend, um bei jeder Gelegenheit, bei der jemand zur Vorsicht mahnt, zu verkünden, geimpft zu sein. Gratulation. Applaus, Applaus. Der erste Schritt ist da immerhin schon mal getan.
Kleiner Exkurs nochmal: Es ist trotzdem sinnvoll sich impfen zu lassen. Das warum und wozu würde hier aber jetzt doch den Rahmen sprengen. Da gibt’s ja auch echt schon genügen (wissenschaftlich fundierte) Abhandlungen drüber.
Aber Himmel Herrgott noch eins. Mittlerweile sollte doch klar sein, dass sich auch Geimpfte anstecken können (die Chance ist geringer), das Virus weitergeben können (auch hier: weniger wahrscheinlich) und so ganz unbemerkt als wandelnde Virusschleuder durch die Gegend marschieren.
Abstand halten braucht man nicht, weil „ich bin ja geimpft“. Da kann man doch locker noch gemeinsame Lunch- oder Dinnerdates im mittelgroßen Kreis veranstalten (treffen wir uns halt nur mit 5 statt mit 10 Personen), sich im Abstand von 1,5 Metern im Großraumbüro zum Co-Working treffen (ist ja bekannt, dass das Virus nach exakt 1,5 Metern aus Erschöpfung einfach abstürzt) oder das ein oder andere Get Together mit den 15 engsten Freunden veranstalten. Regeln sind eher Empfehlungen und überhaupt ist es ja auch wichtig, soziale Kontakte zu pflegen. Ist es, ohne Frage.
Die vermeintliche Lösung waren ja bisher Selbsttests: Geimpft und getestet und schon kann nichts mehr passieren. Gut gemeint und ja, auch ich hab das so gemacht. Nur hat sich halt leider jüngst herausgestellt, dass ein Selbsttest bei Geimpften nicht zwingend zuverlässig ist. Das ist ungefähr wie mit dem Coitus interruptus im Falle der Schwangerschaftsverhütung. Kann klappen, muss aber nicht. Hilft also alles nichts, außer eben doch die Kontakte zu reduzieren.
Macht nicht kaputt, was wir uns herbeiisoliert haben!
Ich kann verstehen, wenn man da keinen Bock mehr drauf hat: Lockdown, Inzidenz, Hospitalisierungsrate. Maskenaffäre, Impfdebakel, Testfiasko. Weihnachtsmärkte unter 2 1/2 bis 3G, ach ne doch nicht, Homeoffice-Pflicht aber bitte nicht zu rigoros. Mal ist bei einem Inzidenzwert von 30 alles dicht, ein halbes Jahr später entlocken selbst Inzidenzen von 300 kaum noch ein müdes Lächeln. Ein ständiges Hin und Her, Auf und Ab.
Ja, ich hab die Nase voll. Von diesem Hin und Her, von seltsamen politischen Entscheidungen, Kompetenzgerangel und scheinbarem Kompetenzmangel, Ministerpräsident:innenkonferenzen, Corona-Regeln, einfach der gesamten Situation, die sich wie Kaugummi zieht. Aber eben auch und aktuell vor allem von allen, die sich im jetzigen Tsunami wie eine wildgewordene Elefantenherde im Porzellanladen verhalten und scheppernd mit dem Arsch das einreißen, was wir uns vorher mühsam durch Kontaktbeschränkungen und Lockdowns herbeiisoliert haben, obwohl sie es eigentlich besser wissen müssten.